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    Doktorhut Blau

    Ohne Glas geht gar nichts

    Perfekter Weingenuss ist eine Sti(e)lfrage

    Wasser Welle

     „Weint der Wein seine Tränen, dann ist das kein Grund zur Traurigkeit“, sagt man.  Der Vorgang entspricht vielmehr einem physikalischen Gesetz. Von denen gibt es gleich mehrere, mit denen man sich beschäftigen sollte, wenn einem das Thema Wein auf der Zunge zergeht.

    Man kann Getränke aus vielen Gefäßen zu sich nehmen – kultivierter Weingenuss ist jedoch nur aus einem Glas möglich. Das entsprechende Glas für den entsprechenden Wein ist ein wesentlicher Bestandteil jeglicher Verkostung. Nur in einem Glas kann sich der Wein voll entfalten.

    In klassischem Sinne hat jedes Weinglas (Ausnahmen, wie etwa Becherkreationen, blieben weitestgehend ohne Erfolg, wohl weil ohne Stiel) einen Fuß, einen Stiel und einen Kelch mit Mundrand. Letzterer soll den Lippen des Genießers ein angenehmes Gefühl vermitteln und den Wein aus der richtigen Perspektive in den Mund leiten. Nach dem Schluck soll ein abgeflachter Fuß des Glases für dessen Stabilität auf dem Tisch sorgen. Zwischen Fuß und Kelch der Stiel. Ein guter Stiel zeichnet sich durch Feinheit und Eleganz aus. Der Kenner hält mit ihm das Glas zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger seiner Hand. Verpönt ist es, das Weinglas direkt an seinem Kelch anzufassen.

    Mit seiner jeweiligen Form (das gilt nicht nur für Weingläser) will das Glas dem Mund des Genießers die Ausgewogenheit der Geschmacksnuancen eines Getränkes vermitteln. Bei einem Weinglas mit weit geöffnetem Kelch bleibt der Kopf des Genießers gerade, bei einem schmalen Glas wird er schräg nach hinten gelegt. Dies deshalb, weil bei gerader Kopfhaltung vor allem die Geschmacksknospen an der Zungenspitze in Anspruch genommen werden, um somit die lieblichen Noten des Weines zu erfassen. Bei Kopfneigung nach hinten wird der Wein auf jenen hinteren Teil der Zunge gelenkt, der den Säuregehalt des Weines wahrnimmt. Die Geschmacksknospen der Zunge erkennen folgende Geschmacksdetails: Süßes an der Zungenspitze, Salziges und Saures an den Rändern und der Unterseite, Bitteres am hinteren Ende.
    Aber nicht nur die Zunge, sondern auch Sinnesorgane wie Augen und Nase spielen beim Weingenuss eine entscheidende Rolle. Unter den Augen des Genießers entwickelt der Wein seinen Reichtum, seinen Zucker- und Alkoholgehalt. Der optische Eindruck gibt schließlich Auskunft über den Weintyp, sein Alter sowie seinen Entwicklungsstand. In diesem Zusammenhang seien den sogenannten Gardinen im Weinglas einige Sätze gewidmet. Diese Gardinen, auch als Tränen, Bogen, Arkaden oder Kirchenfenster bezeichnet, sind auf das ebenfalls „sogenannte“ Marangoni-Phänomen zurückzuführen. Das sind chemische Prozesse, nach dem chemischen Gesetz, dass sich Alkohol schneller verflüchtigt als Wasser. Demnach bildet sich auf der Oberfläche des Weines eine feine, wasserhaltige Schicht mit einer höheren Oberflächenspannung. Verfolgt man diesen Prozess weiter, lässt sich eine Tröpfchenbildung erkennen. Wenn diese an der Wand des Glases hinuntergleiten, spricht man von den oben erwähnten Tränen, Gardinen, Arkaden… Es gilt: Je höher der Alkoholgehalt, umso mehr Tränen weint der Wein.

    Zur Nase. Sie nimmt die verschiedenen Aromaschichten des Weines wahr. Dieses Geschehen wiederum wird von der Größe eines Glases beeinflusst. Das richtig gewählte Glas muss in der Lage sein, dem Genießer die Möglichkeit zu geben, die ganze Vielfalt des Weines zu analysieren. Die reicht von flüchtigen, fruchtigen, blumigen Noten, die sich im Kopfteil des Kelches entwickeln, bis hin zu Vanille- oder Holztönen am Boden des Kelches. Ein Wein, der beim Umfüllen von der Flasche in eine Karaffe bereits geatmet hat, ist auf die Freisetzung solcher Aromen schon vorbereitet. Will man so viele Aromen entdecken wie möglich, empfiehlt es sich, den Wein im Glas zu schwenken und dabei den Fuß des Glases auf dem Tisch stehen zu lassen.

    Der, der einen Wein dekantiert oder dekantieren lässt, sollte wissen, dass das Umfüllen der Flasche in eine Karaffe zwei Vorteile hat. Erstens: Junge Weine – schon mehrere Stunden vor dem Ausschank dekantiert – können richtig durchatmen, zweitens: Alte Jahrgänge – erst kurz vor dem Trinken dekantiert – erhalten ihre in der Flasche entwickelten Eigenschaften. Es gilt: Wer Weißweine dekantiert, sollte die Karaffe mit einem Stopfen verschließen, damit die Aromen nicht entweichen können.

    Also: Es lohnt sich auch, die Ohren offen zu halten, wenn von Weingenuss die Rede ist.